Farbenlehre
Herr Meier und Frau Özgül stehen vor dem Rathaus, wo die Rosaroten und die Schwarzen ein Transparent malen: pastellene Buchstaben, die im Wind zittern.
„Sie pinseln Parolen wie Wattebäusche“, spottet Frau Özgül. „Damit die Schreie der Blau-Braunen drüben leiser klingen.“
Ein Rosaroter verteilt Zuckerwatte. „Extremismus? Bekämpfen wir mit Dialog!“
„Dialog?“, faucht sie. „Wenn die Braunen Gift in den Brunnen kippen, serviert ihr Tee – und redet über geschmackliche Differenzen.“
Vor dem Schwarzen Stammlokal hängt ein Schild: „Ordnung muss sein!“
„Ordnung?“, lacht Frau Özgül. „Sie fegen die Straße, während die Braunen die Pflastersteine ausreißen – um Mauern zu bauen.“
Abends projizieren die Rosaroten Herzen an die Rathausfassade. „Liebe statt Hass!“
„Liebe?“, Frau Özgül wirft einen Stein ins Licht. Das Herz zerbricht in rote Pixel. „Hass stirbt nicht an Liebe. Nur an Konsequenz.“
Am nächsten Tag findet Herr Meier sie beim Friedhof. Sie zeigt auf drei Gräber:
- „SPD 1933: ‚Hitler legal besiegen!‘“
- „CDU 2023: ‚Rechtsextreme? Ein Randphänomen!‘“
- Ein leeres Grab, beschriftet: „Demokratie – erstickt an Zurückhaltung.“
„Die Braunen graben immer zuerst“, sagt sie. „Die anderen streuen Blumen – und wundern sich, wenn die Erde bebt.“
Als Regen fällt, laufen die Farben der Plakate zusammen: Rosarot verdunkelt zu Rost, Schwarz zu Grau. Nur die Braunen Schriften leuchten giftgrün nach.
„Farbenlehre“, murmelt Frau Özgül. „Mischen sich alle Toleranztöne – bleibt am Ende Braun.“
Herr Meier hebt einen verblassten Rosaroten Flyer auf. „Was bleibt?“
„Wasserfestes Rot“, sagt sie. „Nicht zum Malen – zum Markieren. Wo Braun wächst, muss man Wurzeln ausreißen, nicht Blätter beschneiden.“
In der Nacht träumt er von einem Garten: Schwarze Gärtner gießen Unkraut, Rosarote betupfen es mit Parfüm. Als er erwacht, liegt ein Samenpaket vor der Tür:
„Sorte: Wehrhaft. Aussaatzeit: Jetzt.“
Frau Özgül lächelt, als er sie fragt. „Pflanzen wir.“