Herr Meier steht vor dem Parteibüro der Sozialdemokraten, in dessen Schaufenster ein Plakat hängt: „Bürgergeld-Reform: Fairness für alle!“
„Fairness“, liest er laut, „ein Wort, das sie wie eine Zwiebel schälen – bis nichts mehr übrig bleibt als der Geruch.“

Frau Özgül tritt hinzu, eine vergilbte Weltbühne-Ausgabe von 1932 in der Hand. „Tucholsky wusste es schon: Der Name ist die letzte Fahne, die man einholt, wenn das Schiff längst gestrandet ist.“ Sie tippt gegen das Schaufenster. „Siehst du? Drinnen beraten sie über schärfere Sanktionen. Draußen sucht eine Mutter Pfandflaschen.“

Kurt Tucholsky (alias Paul Panter), 1932

Ein Sozialdemokrat im blauen Anzug eilt vorbei. „Wir müssen die Leistungsmissbräuche bekämpfen!“, ruft er ins Handy.
„Leistungsmissbrauch?“, wiederholt Frau Özgül. „1914 nannten sie es Vaterlandsverteidigung. Heute nennen sie es Fairness. Immer derselbe Tanz – nur die Violine ist älter geworden.“

Sie setzen sich auf eine Bank gegenüber der Arbeitsagentur. Eine junge Frau verlässt weinend das Gebäude. „Sie streichen mir alles“, schluchzt sie. „Weil ich die Wohnung nicht wechsle. Dabei finde ich keine neue.“

Herr Meier ballt die Faust. „Und Bärbel Bas? Sie stammt doch aus einer Arbeiterfamilie!“
„Eben“, sagt Frau Özgül trocken. „Die Henker, die am besten wissen, wo das Genick sitzt.“ Sie öffnet die alte Zeitung. „Hier können Familien Kaffee kochen – dieser Name wäre ehrlicher. Denn was tun sie anderes, als sich warmzuhalten, während andere frieren?“

Am nächsten Tag kleben sie ein Transparent an die Parteizentrale:
„SPD – seit 1914 Spezialisten für kleinere Übel*“
Darunter eine Rechnung:
„Bürgergeld-Sanktionen: 100% Ersparnis
Pfandflaschen pro Stunde: 0,48 €
Gewissen: unbezahlbar“

Ein Parteisekretär reißt es wütend ab. „Das ist Verleumdung!“
„Nein“, erwidert Frau Özgül. „Das ist Übersetzung. Ihr sprecht von Fairness – wir von Hunger.“

Abends zeigt das TV Bärbel Bas in einem teuren Studio. „Wir fördern, aber wir fordern auch!“, sagt sie lächelnd.
Frau Özgül schaltet auf Stumm. „Hörst du das Geräusch? Das ist Tucholsky, der sich im Grab umdreht. Einmal pro Satz.“

In der Nacht träumt Herr Meier von einer Küche. Sozialdemokraten kochen Kaffee, während draußen Arbeiter in Regen Schlange stehen. „Es ist gleich fertig!“, rufen sie. Doch der Kaffee ist nur gemalter Dampf.

Am Morgen finden sie die Pfandflaschen-Sammlerin wieder. Sie sitzt auf einer Bank, ihr Kind wiegt sie im Arm.
„Sanktionen“, flüstert Frau Özgül. „Ein schönes Wort für: Wir nehmen dem Kind die Milch.“ Sie legt einen Zettel in den Kinderwagen:
„An Bärbel Bas: Mein Vater wählte Sie. Ich sammle Pfand. Nennen Sie das Fairness?“

Vor dem Supermarkt steht jetzt ein neues SPD-Plakat: „Soziale Gerechtigkeit neu denken!“
Frau Özgül ergreift eine Spraydose, malt ein Fragezeichen hinter neu und schreibt darunter:
„Fragen kostet nichts. Antworten schon.“

„Was ändert das?“, fragt Herr Meier.
„Nichts“, sagt sie. „Aber die, die lesen können, werden vielleicht stolpern. Und im Stolpern sieht man manchmal, was unten liegt.“

Irgendwo klingelt eine Kasse. Oder ist es die SPD-Kasse? Man weiß es nicht.